Dynamisches Restwasserregime Spöl Projektleitung: C.T. Robinson, Eawag Mitarbeiter: M. Doering, eQcharta Laufzeit: Seit 1999 Seit dem Jahr 2000 werden experimentellen Flutungen zur Revitalisierung des Gebirgsbaches Spöl im Schweizer Nationalpark durchgeführt und ökologisch begleitet. Es konnte gezeigt werde, das solche dynamischen Anpassungen der Restwasserabgabe die Ökologie wesentlich verbessern und gleichzeitig ohne ökonomische Verluste in der Stromproduktion gefahren werden können. Die Ergebnisse vom Spöl bilden heute die Grundlage für die Planung und Umsetzung solcher dynamischen Restwasserregime an verschieden Flüssen weltweit. Der Beginn der Wasserkraftnutzung des Spölwassers nach 1970 hatte wesentliche Auswirkungen auf seinen ursprünglichen Charakter als natürlicher Alpenflusses. Die Gewässersohle verfestigte sich zunehmend, einzelne Algenarten und Moose entwickelten sich übermässig und die Flussmorphologie verlor ihre Dynamik. Dadurch veränderten sich sehr deutlich die Lebensbedingungen für seine typische Gebirgsbachfauna – Fische und Wasserinsekten. Die möglichst naturnahe Gestaltung des Abflussregimes mit Hilfe von experimentellen Hochwassern hatte zum Ziel, die Habitatbedingungen für die ursprüngliche Gewässerfauna zu verbessern und die Flussmorphologie wieder der eines natürlichen Flusses auf dieser Höhenstufe anzugleichen (Abb. 1). Abb. 1: Vor 1970 war der Spöl durch ein natürliches Abflussregime, wie es für Gebirgsbäche dieser Region typisch ist, geprägt. 1970 kam es zur Inbetriebnahme des Livignio Damms, wodurch bis 2000 ein konstant niedriges Restwasseregime ohne Abflusspitzen gefahren wurde. Ab dem Jahr 2000 werden experimentelle Flutungen zur Revitalisierung des Spöls durchgeführt. Im Rahmen der durch die Konzession festgelegten Restwassermenge wurde daher zwischen Kraftwerksbetreibern, Ökologen und dem SNP ein ökologisch optimiertes Abflussregime vereinbart. Auf der Grundlage dieses Abflussregimes lösten die Engadiner Kraftwerke im Jahr 2000 erstmals drei experimentelle Hochwasser aus. Die Anzahl und Höhe dieser Hochwasser wurde über die Jahre angepasst, basierend auf den Ergebnissen des begleitenden Monitoringprogramms und der Verfügbarkeit von entsprechenden Wassermengen. So wird zum Beispiel in Jahren mit tiefem Wasserstand im Lago di Livigno nur ein experimentelles Hochwasser ausgelöst. Standardmässig sind pro Jahr zwei künstliche Hochwasser mit Abflussmengen von 25 – 35 m3/s eingeplant (Abb. 2). Abb. 2: Experimentelles Hochwasser am Spöl (Photos: C.T. Robinson) Unterhalb dieser Abflussmengen ist der ökologische Gewinn relativ gering, Hochwasser über 35 m3/s können dagegen zu erheblichen Störungen des Flusssystems führen. Begleitende Untersuchungen seit dem Jahr 2000 zeigen, dass die regelmässige Durchführung von Hochwassern dazu führt, dass Feinsedimente flussabwärts transportiert werden, was einer Verfestigung des Flussbettes entgegenwirkt. Die erhöhte Porosität und Dynamik der Flusssohle wirkt sich positiv auf die Habitatbedingungen für Fische und verschiedenste Wasserinsekten aus. Darüber hinaus wurden einzelne dominierende Algenarten und Moose reduziert oder sind verschwunden; Algenarten, die als Nahrungsquelle für Wirbellose besser geeignet sind, werden hingegen begünstigt. Aufgrund der konstanten Abflussbedingungen, die einhergingen mit einem starken Moosbewuchs, waren vor Beginn des Programmes regelmässig für Gebirgsbäche untypische Massenvorkommen von Bachflohkrebsen Gammarus fossarum zu beobachten. Obwohl diese Art immer noch häufig vorkommt, hat ihre Populationsdichte durch die Hochwasser stark abgenommen. Gebirgsbachtypische Wasserbewohner wie Eintagsfliegen Ephemeroptera, Steinfliegen Plecoptera oder Köcherfliegen Trichoptera konnten sich dagegen wieder ansiedeln bzw. vermehren (Abb. 3). Die Artenzusammensetzung ähnelt nun wieder derjenigen von vergleichbaren natürlichen Fliessgewässern der Region. Abb. 3: Veränderung der aquatischen Lebensgemeinschaften. Mit Beginn der experimentellen Flutungen im Jahr 2000 wurden die für den Spöl untypisch hohen Dichten von Bachflohkrebsen stark reduziert (oben), während andere für Gebirgsbäche typische Arten, z. B. der Eintagsfliegen (unten) den Bach relativ schnell wieder besiedeln konnten. Mit diesem weltweit einmaligen Experiment konnten auch die Auswirkungen der Hochwasser auf die Fischfauna untersucht werden. Infolge der Dynamisierung der Gewässersohle hat sich die Anzahl der Forellenlaichgruben verfünffacht, was die Populationsentwicklung begünstigt. Die Veränderung in der Artenzusammensetzung der Wasserinsekten bedeutet, dass die Fische ein vielfältigeres Nahrungsangebot vorfinden. Die langfristigen Auswirkungen dieser Änderungen auf die gesamte Nahrungspyramide des Gewässers sind Teil weiterer Untersuchungen. Die künstlichen Hochwasser werden so angelegt, dass keine Einbusse für die Stromproduktion resultiert. Die Massnahmen sind ein Beispiel dafür, wie die ökologische Integrität eines Flusses bewahrt und zugleich die ökonomischen Bedürfnisse der Gesellschaft bezüglich der Energiegewinnung erfüllt werden können. Das Experiment fand überregionale und internationale Beachtung und wurde in das Regelwerk zur Stromproduktion am Spöl übernommen. Mehr noch, dynamische Restwasserregelungen werden nun auch für andere Flüsse auf internationaler Ebene diskutiert und angewandt. Wissenschaftlich bieten Langzeitexperimente wie die künstlichen Hochwasser am Spöl ein grosses Potenzial hinsichtlich des ökologischen Verständnisses von Flusssystemen und deren Managementpraktiken. Die meisten Flüsse weltweit sind in vielfältiger Weise vom Menschen beeinflusst. Daher ist ein Entgegenkommen zwischen Ökologie und Ökonomie unausweichlich und muss einen hohen Stellenwert im Management der Flusssysteme erhalten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Integration von langfristig angelegten Untersuchungen in das Flussgebietsmanagement. Einige wichtige Veränderungen, z. B. in der Artenzusammensetzung der Wasserinsekten, zeigten sich erst mehr als zehn Jahre nach dem Beginn der experimentellen Hochwasser. Dies unterstreicht die Bedeutung von Langzeitstudien einerseits für Forschung und andererseits für unser Verständnis der Struktur und Funktion von Flüssen. Weiterführende Literatur: Robinson, C.T. 2012. Long-term changes in community assembly, resistance and resilience following experimental floods. Ecological Applications 22, 1949-1961. [pdf] Doering, M. & Robinson, C.T. (2012): Wassermanagement: Schutz und Nutzen verbinden. EAWAG News. 72d, 18-21. [pdf] Robinson, C.T. & Doering, M. (2012): Adaptive management in river systems. The Water Leader. Issue 04/2012, 34-36. [pdf]
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